Zwischenruf Mai 2023
Weil Sprache Denken ist
Nein, man ist kein Pedant und auch kein von politischen Impulsen geleiteter Zeitgenosse, wenn man gelegentlich an den schlichten Satz, dass Sprache Denken ist, erinnert.
Unterstellt man, dass Sprache und Denken in einem direkten Zusammenhang stehen, dann steht ein eher undifferenzierter Gebrauch von Wörtern auch für ein eher undifferenziertes Denken.
Damit sind wir bei der Schlagzeile: „Ein Gamechanger für die Ukraine“ – Das Waffensystem „Storm Shadow“ von WELT-Online vom 14. Mai 2023 angekommen.
In dem Beitrag geht es darum, dass Großbritannien beschlossen hat, der Ukraine Langstreckenraketen zu liefern, mit denen es möglich ist, Ziele in größerer Entfernung anzugreifen und zu zerstören.
Bei wörtlicher Übersetzung ist also in dem Beitrag von Raketen, die das "Spiel" ändern (können) die Rede. Krieg auch nur in die gedankliche Nähe von „Spiel“ zu bringen, ist wohl nur möglich, wenn man bestimmte Dinge nicht denkt.
Aber gut, dann wird eben seit 14 Monaten so etwas wie Krieg „gespielt“ und die freundlichen Briten wollen den Ukrainern nun etwas zur Verfügung stellen, das geeignet ist, dieses Spiel zu ändern.
Die Stuttgarter Nachrichten haben sich die Mühe gemacht, uns darüber aufzuklären, was denn nun ein "Gamechanger" genau ist. Zitat:
„Der Begriff „Gamechanger“ stammt aus dem Englischen und bedeutet wortwörtlich übersetzt „Spielveränderer“. Der Begriff kann als Substantiv für Menschen, Gegenstände oder Situationen verwendet werden, die großen Einfluss auf bestimmte Sachlagen haben und eine komplette Veränderung mit sich bringen. Der Duden beschreibt den Begriff als eine „Person oder etwas, die beziehungsweise das bisher geltende Regeln und Mechanismen [grundlegend] verändert“. „Gamechanger“ kann sowohl eine positive als auch negative Bedeutung haben.“
Und dann erhält der Leser noch Tipps, wann das Wort anzuwenden ist und wie man es schreiben kann. Eine Wortgebrauchsanweisung sozusagen.
Das liest sich so vertrottelt, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Aber sei es drum. Dann ist der morgendliche Kaffee eben ein "Gamechanger" und wer weiß, wenn Sie schlauer am Ende dieser Zeilen sind, dann ist wohl dieser Beitrag auch so etwas wie ein "Gamechanger".
Ich hoffe jedoch, dass wir uns einig sind, dass dort Krieg geführt und kein "Spiel" gespielt wird.
Es gibt diese Überkorrektheit, diese kleine Schwester der Angst, die mitunter aus Persönlichkeiten verschüchterte Pennäler macht, die vor lauter Sternchen!?..., Unterstrich!?..., Doppelpunkt!?..., Großbuchstabe mitten im Wort!?... oder dann doch konstant nur die die weibliche Form!?... kleinlaut werden und lieber schweigen.
Alles soll möglichst völlig korrekt sein, sodass man dann offensichtlich an anderer Stelle, wie eben mit dem Krieg und dem „Spiel“, eher oberflächlich agiert und seinen Leser*innen/ Leser_innen/ Leser:innen/ Leserinnen/ LeserInnen lieber lauwarme Brühe präsentiert.
Ein weiteres Beispiel: Als sein Sohn noch Student war, da war klar, dass der nicht immer über seinen Büchern sitzen und studieren würde. Jetzt aber ist der Sohn, auch wenn er gerade mal nicht studiert, Studierender. Das hat doch was. Aber auch Arbeitende arbeiten nicht immer und Frisierende haben montags ihren Laden zu. Ebenso Backende.
Ach, oder gibt es das gar nicht und haben sich die ehemaligen Studentinnen und Studenten eine Begriffsbeschreibung angeeignet, die sie exklusiv nur für sich und die sie Lehrenden verwandt wissen wollen?
Wie dem auch sei. Ich war jedenfalls früher mal ein Student und bin mittlerweile Rentner, könnte aber vermutlich auch ein ehemaliger Studierender sein, der jetzt ein Rentnernder ist. Das weiß ich, ehrlich gesagt, gar nicht so ganz genau.
Mir geht es nicht um Besserwisserei oder um irgendwelche dumpfe Pöbeleien, sondern mir geht es um die Frage, was von uns und von unserem Miteinander noch übrigbleibt, wenn sich das, was wir benötigen um uns zu verständigen, in Uneindeutigkeit aufweicht und im Nebel verschwindet.
Was bedeutet eigentlich die freundliche Aufforderung: „Besuchen sie uns in den sozialen Medien?“ Können Medien „sozial“ sein? Wie hat man sich ein "soziales Medium" vorzustellen? Was macht es "sozial"? Und worin grenzt es sich von einem "unsozialen Medium" ab?
Klar ist doch: Der Begriff „sozial“ wird verwässert und entwertet, wenn es in diesem Zusammenhang gedankenlos verwandt wird!
Es geht schlicht um „Soziale Medien“. Dass Medien die Eigenschaft haben, „sozial“ zu sein, ist nicht belegbar. Dass es aber Medien gibt, die eine schnelle Kommunikation vieler Personen untereinander ermöglichen, und ihnen damit zu Vernetzung und Austausch verhelfen, ist belegt. Ja, und wie sieht denn dann eigentlich ein „Besuch“ in einem „sozialen Medium“ aus? Wer dem Aufruf folgt, wohin „geht“ der zu Besuch?
Dass es merkwürdige Sprachgebilde gibt, ist schlimm. Dass sie aber jede*r nachplappert, macht daraus dann am Ende ein Chaos.
Es ist die Summe und nicht die Tiefe der Informationen, die müde macht. Das heutige Lesen von Nachrichten ist nichts anderes als eine Art „Fastfood für den Kopf“. Mehr nicht. Wir können uns geistig kaum noch länger auf eine Sache fokussieren und freuen uns, wenn zu Beginn eines Artikels eine möglichst niedrige Minutenzahl angegeben ist, die für die Aufnahme der Information zu investieren ist.
„Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken“, merkt Immanuel Kant an. Wenn das zutrifft, dann ist eine unklare und uneindeutige Sprache Ausdruck unklarer und uneindeutiger Gedanken. Was wir dringend brauchen, ist ein „Gamechanger“, sonst wird es immer schwieriger, dass wir uns einander mitteilen können.
Versuchen wir es also mit dem Denken…