Kolumnen

Was bleibt?


In wenigen Tagen geht ein Jahr zu Ende, das aus behindertenpolitischer Sicht kein gewöhnliches Jahr gewesen ist. Da gibt es durchaus das ein oder andere, was des Erwähnens wert und vor dem Vergessen zu bewahren ist.

Wer hätte beispielsweise gedacht, dass diejenigen, die das Bundesteilhabegesetz (BTHG) als „nicht mein Gesetz“ bezeichnen, am Ende noch prominente Partner bekommen würden?  Denn der BTHG-Entwurf ist nicht nur nicht das Gesetz von Raul Krauthausen und Co., sondern es ist auch nicht das Gesetz von Andrea Nahles, der hochgelobten Frau Lösekrug-Möller und all denanderen Expertinnen und Experten in „eigener“ Sache. Im Gedächtnis der Betroffenen wird Enttäuschung bleiben. Sie werden nicht vergessen, dass die Verantwortlichen ursprünglich ein schärferes Gesetz wollten und haben mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen dürfen, dass die Macher nun plötzlich stolz auf sich sind, weil es ihnen gelungen ist, aus ihrem eigenen Entwurf die massivsten Verschlechterungen wieder herauszunehmen.

Wer das auf sich wirken lässt und quasi als Qualitätskontrolle das ganze Gezerre mal seinem Verstand zur Durchsicht überlässt, der wird sicher bei der kommenden Bundestagswahl nicht zu Hause bleiben. Und spätestens in der Wahlkabine werden dann diejenigen, denen es dieSprache verschlagen hat, von ihrer Stimme Gebrauch machen.

Was bleibt noch?

Im Gedächtnis bleibt das aufwändige Beteiligungsverfahren, die institutionalisierte Hoffnungsmache und das klare Signal an die Betroffenen, dass es den Gesetzesmachern wichtig ist, sie, die unmittelbar betroffenen Betroffenen, direkt zu hören. Das, was sich da an Erwartungen aufbaute, zerschellte dann jäh im politischen Gezänk, sodass durchaus gemutmaßt werden darf, dass der aktuell vorliegende BTHG-Entwurf OHNE Beteiligungsprozess nicht anders aussehen würde. So wird der Beteiligungsprozess als  Beispiel dafür in die Geschichte eingehen, wie man Vertrauen verspielen kann. Auch das muss man können.

Ja, dann sind da noch die Verbände, die einmal mehr Zweifel darüber haben aufkommen lassen, auf wessen Seite sie stehen und wessen Interessen sie eigentlich vertreten. Es ist an der Zeit, die Frage nach dem Selbstverständnis zu diskutieren. Mit ihrer Antwort kämen die Verantwortlichen dem BTHG zuvor, das diese Frage ohnehin auf die Tagesordnung derer heben wird, die glauben, dass sie sich treu blieben, wenn sie es nur ja schaffen, sich nicht zu ändern.

An den Rändern dann auf der einen Seite die AWO mit ihrer Parteibuchnähe zur Politik, und, quasi am anderen Ende der Skala, das DRK, das mit seiner selbstverordneten Neutralität den Menschen, die sich ihm anvertraut haben und die sehr wohl von politischen Entscheidungen existenziell betroffen sind, nicht wirklich einen Gefallen getan hat. Für sich kann man ja Neutralität proklamieren, aber wenn es um das Wohl und Wehe derer geht, für die man Dienste und Leistungen erbringt, dann bleibt da schon irgendwie ein Geschmäckle. Im Interesse der Betroffenen ist zu hoffen, dass sich in den Schreibtischschubladen der Verantwortlichen Zettel mit beschriebenen Worst-Case-Szenarien befinden, ab wann man denn bereit ist, seine politische Neutralität aufzugeben.

Auch die Rolle der Betroffenen ist einer Betrachtung wert. Haben sie doch der (Fach-)Öffentlichkeit vorgeführt, was möglich ist, wenn man sich vernetzt, sich das Maul nicht verbieten lässt, den etablierten Strukturen und ihren Repräsentanten misstraut und sich mit Mut und kreativen Aktionen direkt einbringt. Das „Sommermärchen“ des Jahres 2016 ist das Wiedererstarken dessen, was früher einmal die Krüppelbewegung war. Das BTHG ist zum Geburtshelfer der „Krüppelbewegung 2.0“ geworden. Na, das ist doch was!

Nun geht es darum, den Schwung mit in die Mühen der Ebene zu nehmen und den Druck im Kessel zu lassen. Aber wer als Blinder sehenden Auges in die kalte Spree springt, der schafft auch das …


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