Kolumnen
Von Fach-, Hilfs- und ganz anderen Kräften
„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Albert Einstein
Die Lübecker Nachrichten berichten am 04. Mai diesen Jahres, dass in der Nähe von Bad Segeberg ein Pflegeheim schließen musste, weil sich nicht genug Fachkräfte fanden. Gut, zugegeben sind 30 Plätze auch nicht wirklich viel, um eine Einrichtung wirtschaftlich betreiben zu können, aber einen wirklichen Charme versprühen Heime ja ohnehin nicht, egal, wie klein oder groß sie sind und ob sie wirtschaftlich zu betreiben sind oder nicht.
Im August vergangenen Jahres berichtete die Mitteldeutsche Zeitung über ein Pflegeheim in Halle, das wegen Personalmangels hat schließen müssen und am 31. März 2018 hat im Kreis Passau ein Pflegeheim nach 19 Jahren schließen müssen, weil Fachkräfte fehlten. Soweit einige wahllos herausgezogene Zeitungsmeldungen.
„Der Fachkräftemangel in der Pflegebranche in Mitteldeutschland ist so groß wie noch nie: Nach Recherchen von MDR aktuell verstoßen in Sachsen zurzeit 107 Alten- und Pflegeheime gegen gesetzliche Vorschriften, weil ihnen das Personal fehlt. Das ist jedes achte Heim. Thüringen erhebt die Zahl nicht. In Sachsen-Anhalt sind es 70 Einrichtungen“, so der MDR am 31. Januar 2018.
Da braut sich was zusammen und Albert Einstein hat schon vor Jahren festgestellt, dass man Probleme nicht mit derselben Art des Denkens lösen kann, durch die sie entstanden sind. Aber wir verdoppeln lieber die Denkanstrengungen, anstatt die Denkrichtung zu ändern.
Zwei atemberaubende Denkergebnisse haben wir aufzuweisen: In Vietnam auf „Shoppingtour“ zu gehen, dabei den pflegebedürftigen Vietnamesinnen und Vietnamesen die Pflegekräfte vor der Nase wegzukaufen und die Erfindung von Pflegerobotern.
Schöne neue Welt. Aber wir machen lieber weiter. Die unangenehme Nachricht kann ja jemand anderer verkünden.
Noch eine Kostprobe, auf welche Ideen Menschen kommen, die die Denkweise nicht ändern?
„Die Elektronikfirma Sanyo brachte vor gut zehn Jahren gar einen Vollwaschautomaten für Pflegebedürftige auf den Markt: Die Senioren wurden einfach vom Pfleger in das eiförmige Behältnis gesetzt und dann wurde der alte Mensch mit Schaum- und Wasserdüsen abgewaschen. Mittlerweile ist die Produktion der Menschenwaschmaschine zwar eingestellt. Aber nicht, weil sie von den Senioren nicht angenommen wurde, sondern nur, weil sie mit umgerechnet rund 45.000 Euro Verkaufspreis einfach zu teuer für die meisten Pflegeeinrichtungen war.“ (Zitat aus "WELT" vom 08.09.2015.)
Und wer wissen will, ob sich die Welt seit 2015 weiter gedreht hat, darf gern einmal zu dem unverfänglich daherkommenden Begriff „Pflege 4.0“ das Internet befragen. Da kommt etwas auf uns zu, das nicht unbedingt nur lustig ist.
Klar ist, dass schlichtweg Personen fehlen, egal ob mit Fachausbildung oder nicht. Allerdings verschärfen Anforderungen, wie beispielsweise eine Quote von mindestens 50% Fachkräften vorzuhalten, die Situation, sodass wir die Vorgabe nur halten können, wenn wir anderen die Fachkräfte wegnehmen oder wenn wir dann im Bedarfsfall lieber Heime schließen oder insgeheim darauf warten, dass Menschenwaschmaschinen endlich erschwinglich werden.
Es ist schon irgendwie bizarr bis grotesk, wenn Oma Klawuttke nicht ins Pflegeheim darf, weil es dort nicht so gut ist, wie es (vermutlich) sein könnte, aber (vermutlich) immer noch besser als bei ihr zu Hause.
Das erinnert an Opa Heinz, der von seinen Kindern zum Geburtstag eine Ausfahrt im Porsche-Cabrio geschenkt bekommt. Zum vereinbarten Termin hat das Autohaus leider keinen Porsche, sondern nur ein Opel-Cabrio. Natürlich sagen die besorgten Kinder die geplante Ausfahrt direkt ab. „Wir haben versprochen, Dich mit einem Porsche abzuholen, und da im Moment leider nur ein Opel verfügbar ist, müssen wir das ausfallen lassen. Das verstehst Du doch, Opa Heinz, oder? Ist auch in Deinem Sinn und, mit Verlaub, wir wollen nicht mit unserer Glaubwürdigkeit spielen. Unser Wort gilt und Du sollst Dich jederzeit auf unser Wort verlassen. Also müssen wir jetzt noch gemeinsam warten.“
Ob da gerade tatsächlich das Problem von Opa Heinz besprochen wird, scheint fraglich. Vermutlich wohl nicht. Denn Opa Heinz hätte sicher auch den Opel genommen. Opa Heinz geht es (vermutlich) nicht vorrangig um die Marke, um ein Modell, sondern ihm geht es um ein Erlebnis, um Abwechslung, um Zuwendung und um das Gefühl, das Leben noch einmal zu spüren.
Wer sagt denn, dass ein Porsche, immer und in jedem Fall, einem Opel vorzuziehen ist? Sind Fachkräfte immer „Porsche“ und Hilfskräfte immer „Opel“?
Wie wichtig ist es eigentlich Oma Klawuttke, vorausgesetzt, dass es ihr gut geht und dass man respektvoll mit ihr umgeht, dass sie von mindestens 50% Fachkräften umgeben ist? Woher weiß sie eigentlich, welche Qualifikation ihr gerade gegenübersteht? Und wie wichtig ist es für sie, das zu wissen?
Und wenn dann mal Dinge geschehen, die nicht sein dürfen, und die Medien von Gewalt in Pflege und Betreuung berichten, sind es dann eigentlich immer eher Hilfskräfte, die unangenehm auffallen? Ist schon mal wissenschaftlich untersucht worden, ob von Hilfskräften grundsätzlich mehr Gewalt und Gefährdungen ausgehen und dass ihnen mehr ethische Verstöße nachzuweisen sind als Fachkräften?
Gibt es einen wissenschaftlichen Beleg für die gebetsmühlenartig vorgetragene Gleichung „Fachkraft = Qualität“? Hat das schon mal irgendwer erforscht, was da immer so unwidersprochen behauptet wird?
Ziehen denn aus Wohnstätten, in denen weit über 50% Fachkräfte tätig sind, auch im Verhältnis mehr Menschen mit Behinderung in die eigene Häuslichkeit? Haben wir nur deshalb noch Sonderwelten, weil in ihnen nicht 100% Fachkräfte tätig sind, sondern auch Hilfskräfte?
Ja, dann ist es auch kein Wunder, dass es immer noch Werkstätten für behinderte Menschen gibt, denn dort arbeiten überwiegend Menschen, die keine ausgebildeten Pädagogen sind.
Welcher Zusammenhang besteht eigentlich zwischen Qualifikation und Lebensqualität? Was sagt die Wissenschaft und was sagen die Nutzer?
Was diejenigen sagen, die die Probleme mit derselben Art des Denkens lösen wollen, durch die sie entstanden sind, das ist bekannt und manchmal durchaus zum fremdschämen. Aber bitte, solange der vietnamesische Markt noch Pflegekräfte abwirft, können wir ja so tun, als hätten wir kein Problem.
Die Zeit drängt, eine breite Diskussion zu führen, die sich einem ebenso zentralen wie unangenehmen Thema widmet. Da ist keine Zeit für Mythen und Plattitüden. Da muss auch mal dem ein oder anderen Lobbyisten und seinen netten Powerpoint-Folien widersprochen werden. Und denjenigen, die das kapitalistische System anbeten, natürlich auch.
In der Sozialen Arbeit begründet sich Helfen aus sich selbst heraus. Punkt. Und wir sind uns allemal mehr wert, als sich Erträge durch uns generieren lassen. Punkt.
Darüber sollten wir diskutieren. Mit Oma Klawuttke und mit Opa Heinz übrigens auch.
Viel Zeit bleibt nicht mehr. Klar ist, „Alexa“, mal bitte weghören, dass wir damit fertig sein müssen, bevor es bei „Amazon“ die ersten Menschenwaschmaschinen zu bestellen gibt...
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