Zwischenruf Juli 2024

Vom Heimvorteil und anderen Nachteilen


Da rennen sie also wieder und haben sich in ihre Oberschenkel und in unsere Köpfe gesetzt, das legendäre Nullsechser Sommermärchen wiederholen zu wollen. Und für ein paar Wochen wächst dann in Schland die Zahl der Fußballexpertinnen und -experten auf gut achtzig Mio an, sodass diejenigen, die zufällig zum Spielerkader gehören oder als Trainer arbeiten, in zu vernachlässigender Unterzahl sind.

Die gemütliche Couch, einige Tüten Chips und jede Menge kühles Blondes und schon ist er fertig, der Nährboden, auf dem aus Frauen und Männern plötzlich Nagelsmänner und -frauen werden. Lidl lohnt sich für Lidl.

Ja, und dann ist da immer wieder auch die Rede vom Heimvorteil, den es zu nutzen gälte und dass es ein Privileg sei, vor heimischen Publikum eine EM zu spielen. Und da stellt man sich dann als passionierter "Inkludator" schon die Frage, was denn genau ein Heimvorteil ist und worin er bestehen könnte.

Nehmen wir zunächst die Heimbetreiber, für die es von Vorteil ist ein Heim zu betreiben, weil es sich für sie finanziell rechnet. Eins zu Null für Heimbetreiber.

Gut, und für wen könnte ein Heim noch einen Heimvorteil darstellen? Für die Angehörigen? Welche Alternativen haben sie, wenn das eigene familiäre Sorgesystem keine Kapazitäten mehr hat und schon von Ferne mit dem Kronenkreuz gewunken wird? Da ist ein Heim immer noch die sicherste Bank. Auch das ein Zu-Null-Spiel.

Die Kommune? Sie hat immerhin die Pflicht zur Daseinsvorsorge ihrer Bürger*innen. Das ist eine Frage der Sozialplanung. Statistisch hat eine Kommune bei soundso vielen Einwohnern mit einer Zahl von soundsovielen behinderten Menschen zu rechnen und hält folglich soundsoviele Heimplätze vor. Das ist einfache Mathematik und hat mit der ganzen UN-BRK-Lyrik nichts zu tun. Also ebenfalls ein klares Zu-Null-Spiel.

Was ist mit den Betroffenen? Ja, das sind die, die sich vor einigen Jahren anketteten oder in die kalte Spree sprangen, weil sie das sich damals warmlaufende Bundesteilhabegesetz als unmenschlich kritisierten.

Welcher behinderte Mensch sieht eigentlich im Heim einen Heimvorteil? Aus Untersuchungen ist bekannt, dass die Entscheidung für einen Heimeinzug mehrheitlich nicht von den Betroffenen selbst getroffenen wurde. Das Heim ist nicht der Sehnsuchtsort eines behinderten Menschen. Also erneut kein Punkt für die Mannschaft der Betroffenen und kein Heimvorteil für Heimbewohner*innen.

Wie sehen das eigentlich die Mitarbeitenden und was ist mit denjenigen, die sie ausbilden? Fragen über Fragen an das erlauchte Fachpublikum zu Hause auf den Sofas und den Fan-Meilen dieser Republik.

Auch für Mitarbeitende hat eine feste Heimstruktur durchaus Vorteile. Es gibt einen festen Arbeitsort, an dem sich zur selben Zeit weitere Kolleg*innen befinden. Hier kann die Arbeit anders organisiert werden, man befindet sich in einem Gebäude, das zweckentsprechend ausgestattet und eingerichtet ist und in dem ausschließlich behinderte Menschen wohnen. Die Arbeitszeiten sind klar geregelt und das Objekt befindet sich häufig in einem besonderen Areal. Oftmals kann relativ direkt auf vernetzende Angebote zugegriffen werden und fachliche Unterstützung kurzfristig in Anspruch genommen werden. Zu-Null also.

Wenn Heimvorteil bedeutet, dass eine der beiden Mannschaften vor heimischen Publikum spielt, so ist festzuhalten, dass in einem Heim kein heimisches Publikum existiert. Man teilt sich die Wohnstätte mit anderen behinderten Menschen, die dort ebenfalls irgendwann eingezogen sind.

Ein Heim ist, bezogen auf Herkunft und die eigenen Sozialen Wurzeln, kein Zuhause.

Nicht nur im Sport kann es sich als ungünstig erweisen, wenn man zu sehr auf den Heimvorteil setzt. Die Zeiten haben sich geändert und diejenigen, die jahrelang Zu-Null-Siege einfuhren, sind gut beraten, bestimmte sozialpolitische und gesellschaftliche Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen und die entsprechenden Schlussfolgerungen für sich daraus zu ziehen.

Diese ewigen Zu-Null-Spiele haben nämlich die Wächter der Menschenrechte auf den Plan gerufen und unsere geliebte Heim-Nation darf nun regelmäßig berichten, was sie zur Verbesserung der Teilhabe und Gleichberechtigung unternommen hat und noch unternehmen will. Bei diesen Staatenprüfungen geben wir nicht wirklich eine gute Figur ab und diejenigen, die von Heimen Vorteile haben, bieten auf, was sie so haben. Dazu gehört auch eine gewisse Dreistigkeit. Und, Schwupps, machen erst Werkstätten für behinderte Menschen den Deutschen Arbeitsmarkt inklusiv. Und überhaupt kann es wohl kaum etwas Inklusiveres als ein Wohnheim geben. Das ist so inklusiv, dass es schon wieder exklusiv ist. Und zum Fremdschämen allemal.

Die Tage, an denen stoisch auf den Heimvorteil gesetzt wurde, sind gezählt. Hat ja auch nicht wirklich etwas mit Sport zu tun, sondern eher mit den Umständen. Die werden sich nun ändern und dann werden wir Leute beim Training beobachten, die so behäbig daherkommen, dass man nicht anders kann, als Mitleid für sie zu empfinden. Und dann hören wir die Verantwortlichen schon sagen: Na, damit die behinderten Menschen auch einen gleichwertigen Gegner bekommen, setzten wir für einige Jahre die Spiele aus und warten, bis der Heimvorteil durch Fitness wettgemacht ist.

Das wäre dann erneut ein Zu-Null-Spiel.

Wetten?



Zurück zu den Zwischenrufen