Zwischenruf Juni 2023

VerCAREte Welt


Wer erinnert sich nicht noch an die Zeit, als man plötzlich begann, das Zimmer umzuräumen, bunte Poster und coole Sprüche an den Wänden zu platzieren und an der Zimmertür einen Hinweis anbrachte, wonach Besucher zu Klopfen hätten und das Zimmer nur nach Aufforderung zu betreten sei? Ja, das waren wichtige Meilensteine auf dem Weg des Erwachsenwerdens und das wollte und das musste man den Menschen seines Umfeldes irgendwie kundtun.

Mitunter kommt es mir so vor, dass nicht nur Menschen wachsen und sich verändern, sondern dass dies für Sichtweisen und Begriffe gleichermaßen zutrifft.

Aktuell ist es der Begriff „Sozial“, der sich meldet und fordert, dass man bitteschön seinen  „Gestaltwandel“ zu respektieren habe. Selbstbewusst stampft er mit dem Fuß auf und verkündet, dass er fortan mit "Care" angeredet werden möchte. "Sozial war gestern", verkündet er mit einem gewissen Stolz. Ja, und die empathischen Eltern nicken mit dem Kopf und sind beflissentlich bemüht, das, was sie bisher als "Sozial" bezeichneten, nun mit  "Care-Arbeit" anzusprechen.

Mitunter verläuft die Wortpubertät nicht weniger stürmisch als die, an die wir uns mehr oder weniger gern erinnern und so merken wir uns, dass "Sozial" langsam aus der Mode kommt und irgendwie Oldschool ist.

Die neue Denkweise, also die des Neoliberalismus, hat aus dem uns vertrauten" Sozial" das neue "Care" werden lassen. Applaus und stehende Ovationen für einen Begriff, der den Horizont erweitert und der mit einem anderen Selbstverständnis und Selbstbewusstsein zur Tür hereinkommt. Vom Sozialarbeiter über den Sozialarbeitenden zum "Carenden". Na, das hat doch was. Vorausgesetzt, man spricht es so aus, dass eine mögliche Verwechslung ausgeschlossen ist.

Da liegt das Töchterchen den Eltern schon seit Monaten mit dem Wunsch nach einem Goldhamster in den Ohren. Irgendwann, die schulischen Leistungen sind in den letzten Tagen auffallend nach oben geschnellt, verkünden die Eltern, dass sie der Tochter einen Goldhamster, inklusiv Käfig und dem entsprechenden Zubehör, zum nächsten Geburtstag schenken werden. „Du kriegst den Hamster, bist aber für Pflege und Versorgung allein verantwortlich“, sagen sie. Und dann reden sie noch davon, dass zum Leben auch die Übernahme von Pflichten und Verantwortung gehört und dass das Leben kein Wunschkonzert ist.

Und tatsächlich, zum Geburtstag erweitert sich die Familie um besagten Goldhamster, den die Tochter etwas despektierlich auf den Namen "Prinz Harry" tauft.

Eines Tages, in der Schule wird gerade über die Geschichte der Sozialen Arbeit gesprochen und der neue Begriff "Care-Arbeit" erklärt, der eindeutig zeitgemäßer und treffender sei, fällt ihr spontan "Prinz Harry" ein und dass sie, die Tochter, hier schon seit geraumer Zeit unentgeltliche "Care-Arbeit" leistet.

Am Abendbrottisch gibt sie ihr aktuelles Wissen zum Thema „Care-Arbeit“ zum Besten und fordert für ihre dem Prinzen erbrachte Care-Leistungen eine Entschädigung und etwas mehr elterliche Wertschätzung. Die verdutzten Eltern reiben sich derweil ungläubig Augen und Ohren und erklären, dass es Leistungen gäbe, die selbstverständlich seien und dass es selbstverständlich auch niemanden gibt, der für die Abgeltung aufkommt. "Soll ‚Prinz Harry‘ Dich jetzt dafür bezahlen, dass Du, die ja unbedingt einen Hamster wollte, ihn auch täglich versorgst? Und, da wir schon mal bei dem Thema sind: Wieviel dürfen wir Dir denn eigentlich dafür in Rechnung stellen, dass wir uns um Dich gekümmert haben?

Die Tochter schaut nachdenklich, sodass der Vater die Gunst des Augenblicks nutzt und ausführt, dass sich die Pflicht zur Hilfe aus sich selbst heraus begründet. "Wenn schon ‚Care‘, dann wohl eher ‚Care-Pflicht‘ als ‚Care-Arbeit‘", sagt er der Tochter, deren Gesicht auffallend viele Falten zeigt. Oder hattest Du etwa einen Deal mit dem Prinzen? Wir jedenfalls hatten keinen, als Du auf die Welt kamst. Wir haben Dich gewollt und es ist folgerichtig und selbstverständlich, dass wir bis zu dem Zeitpunkt, an dem Du uns verlassen und auf eigenen Beinen stehen wirst, ohne finanzielle Interessen, Forderungen nach Ersatz- oder Ausgleichszahlungen oder gar Absichten einer Gewinnerzielung für Dich da sind. Und dass der Staat uns finanziell unterstützt, hat mit der "Care-Pflicht", die wir Dir gegenüber eingegangen sind, nichts zu tun und Du darfst Dir sicher sein, dass wir auch dann für Dich da sind, wenn staatliche Unterstützungsleisten wegfallen oder eingeschränkt werden sollten.

Diese kleine Geschichte verdeutlicht: Das Soziale ist keine Geschäftsidee. Es muss auch dann funktionieren, wenn es weder als "Arbeit" betrachtet, noch dafür eine Vergütung gewährt wird. Und: Es ist letztlich egal, wie sie bezeichnet wird. Entscheidend ist, dass sie erbracht wird. Allerdings ist der Zungenschlag des „Care“ doch ein anderer als ihm der Begriff des „Sozial“ eigen ist.

Es ist keine gute Entwicklung, möglichst alles akribisch unter dem Begriff der „Care-Arbeit“ zu subsummieren. Denn dies impliziert, dass es sich um Tätigkeiten (Arbeit) handelt, auf die ein Entlohnungsanspruch besteht. Das ist aber gerade nicht der Fall.

Dass es sich aber nicht um „Arbeit“ im klassischen Sinn handelt, wird spätestens dann deutlich, wenn klar ist, dass die Hilfeleistungen zu erbringen sind, weil sie erbracht werden müssen. Die Notwendigkeit ergibt sich aus ihrem Vorhandensein, nicht aus einem möglichen finanziellen Anreiz.

Die Anwendung ökonomischer Prinzipien auf den Sozialbereich befördert eine Sichtweise auf das (eigene) Menschsein, die im Kern unmenschlich ist, weil sie der Lebenswirklichkeit widerspricht. Wie konnte es so weit kommen, dass wir einander zur Geschäftsidee geworden sind?

Als ich in einem Podcast der taz aus der Reihe "We Care" hörte, dass ein Mann, der sich um die Wasserversorgung in einem durch den Krieg zerstörten Haus kümmerte, nach Ansicht der Sprecherinnen „Care-Arbeit“ leisten würde, fiel mir wieder einmal auf, dass es möglich ist, sich mit so viel Effet um die eigene Achse zu drehen, dass man das am Ende für eine coole Vorwärtsbewegung hält.

Und so gewöhnen wir uns schon mal vorsorglich daran, einen Pflegeroboter künftig lieber als „Care-Maschine“ zu bezeichnen. Und wenn man etwas sensibel auf die richtige Aussprache achtet, geht dabei auch nichts schief.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der aufgrund seiner Funktion wohl etwas umfänglicher auf den Sozialsektor schaut als so manche*r Verbandsvertreter*in, bringt es ziemlich gut auf den Punkt, wenn er (beispielsweise) für die Entökonomisierung von Krankenhäusern wirbt. Das ist nichts anderes als der Auftakt zu einer ebenso überfälligen wie unbequemen Diskussion. Und klar ist: Es wird um mehr gehen, als „nur“ um die Krankenhäuser.

Obwohl mittlerweile das Sozialsystem sein eigener Patient geworden und dringend Zuwendung in Form von schneller medizinischer Hilfe benötigt, verweigern sich diejenigen, die mit Helfen und Kümmern Kasse machen. Dass das nicht so bleiben wird, ist offensichtlich.  

Und dass wir dabei wohl kaum auf diejenigen zählen können, die in dieser Situation mit Idealismus und Pragmatismus den Begriff der „Care-Arbeit“ zu implementieren suchen, macht es nicht besser. Im Gegenteil.


VerCAREte Welt eben.



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