Kolumnen
Sprachlos
Jetzt sind also die, die nie weg waren, auch wieder da. Sieh an, sieh an. Wer dreiunddreißig zu klein war oder noch nicht gelebt hat, bekommt nun eine Idee davon, wie das damals alles passieren konnte.
Dabei handelt es sich nicht um ein Phänomen, dem man in Deutschland nur alle vierundachtzig Jahre begegnen kann, sondern um etwas, das jederzeit und überall, wo man ihm nicht entschlossen entgegentritt, seine Tarnung abstreift und immer mehr zu dem wird, was es ist: dreist, hohl und gewalttätig.
Wer in unserer globalisierten Welt einfache Antworten gibt, ist ein Brandstifter.
Das wissen auch Populisten. Das sind nicht selten narzisstische Persönlichkeiten, die zuvor eine massive Kränkung erlebt haben und in denen sich ein manifester Wunsch entwickelt hat, es allen zu zeigen, dass man zu Unrecht abgewiesen wurde und dass man der verkannte gute Mensch ist, der über jede Menge Talent verfügt.
Der eine schafft es nicht an die Kunstakademie und der andere wird nichts in der eigenen Partei. Kränkungen können viele Ursachen haben.
Ja, und um dann doch noch irgendwie ins Scheinwerferlicht zu gelangen, bedient man des Volkes Wunsch nach einfachen Antworten. Das ist nicht schlau, das ist trivial und gefährlich. Damit daraus dann auch noch ein fetter Wahlerfolg wird, wird kräftig ideologisiert, diffamiert und polemisiert und die Wahrheit so eingekürzt, bis sie auf einen Bierdeckel passt.
Wer hätte gedacht, dass im 21. Jahrhundert Spanier gegen Spanier gewalttätig werden? So doof kann man doch als ausgeschlafener Mensch gar nicht sein. Auch hier: Einfache Antworten auf komplexe Zusammenhänge. Dann noch ordentlich emotionales und rhetorisches Öl ins Feuer, schnell noch mal an die leidvolle Geschichte erinnert und schon rennt klein Josè tatsächlich auf die Straße und macht Bambule.
Und drüben, auf der anderen Seite des Kanals, genau dasselbe: „Yes“ oder „No“. Kürzer geht es nicht. Und gefährlicher auch nicht.
Wofür unsere britischen Freunde gestimmt haben, dämmert ihnen erst allmählich. Und nicht Wenige fühlen sich von den populistisch daherkommenden Zeitgenossen getäuscht und instrumentalisiert.
Und auch die jungen Männer, die sich und Unbeteiligte in die Luft sprengen, kennen nur „gläubig“ oder „ungläubig“. Je kürzer, desto radikaler. Alle Kriege dieser Welt funktionieren durch die Verkürzung von Sachverhalten. „Freund“ oder „Feind“. Mehr Informationen braucht man nicht zum Töten.
Selbst der deutschstämmige Herr, der dem Land mit den unbegrenzten Möglichkeiten vorsteht, kommt mit gut 140 Zeichen bei „Twitter“ einigermaßen zurecht. Yes he can!
Dass jemand brandschatzend durchs Dorf zieht, wird nur dann zur Katastrophe, wenn sich der Rest des Dorfes nicht aufs Löschen versteht.
Wir, die wir Pizza nach Hause bestellen, Mails in die ganze Welt versenden und die Bahn verklagen, wenn der Zug Verspätung hat, müssen akzeptieren, dass es für das friedliche Zusammenleben auf unserer Erde, die wir gemütlich via „Google Street View“ vom Sofa aus „erfahren“ können, keine einfachen und schnellen Lösungen gibt.
Der politische hinkt dem technischen Fortschritt hinterher. Das kann durchaus gewollt sein, hängt aber auch mit unserer Staatsform zusammen. Demokratische Prozesse dauern und sind in ihrem Ergebnis immer das Resultat von Aushandlungen. Das ist nicht schlimm. Das Gegenteil ist schlimmer!
Ja und wenn jetzt die, die Siegen gewohnt sind, sich verwundert die Augen reiben und sich ratlos fragen, was sie denn falsch gemacht haben, weil ihnen die Wähler davongelaufen sind, impliziert ja schon die Art der Fragestellung, dass diejenigen, die gewonnen haben, alles richtig gemacht hätten. Das Gegenteil ist der Fall.
Wer einfache Antworten gibt, wer polemisiert, wer diffamiert, wer unverhohlen menschenverachtend unterwegs ist und wer die deutsche Geschichte verharmlost, macht alles falsch. Und ist ein Verführer.
Genauso, wie ein schiefer Ton nicht richtig wird, wenn ihn Viele singen, muss auch der nicht alles richtig gemacht haben, der das beste Wahlergebnis eingefahren hat. Ein gutes Wahlergebnis heiligt nicht die Mittel, die man angewandt hat, es zu erreichen. Oder kann man etwas anderes aus der deutschen Geschichte lernen?
Da ist es für einige erfolgsverwöhnte Parteien, die dachten, sie hätten so etwas wie eine Abgeordnetenflatrate beim Wahlvolk gebucht, nun allzu verlockend, ebenfalls schiefe Töne einzustudieren, weil das Volk es ja offensichtlich so zu wollen scheint.
Künftig will man es dem konservativ denkenden Wähler leichter machen, die Partei zu finden, die seine Positionen vertritt, indem man das rechte Spektrum erweitert. Jetzt kann er rechts richtig shoppen gehen. Deutschland rückt nach rechts. Darauf verstehen wir uns. Vom „Tausendjährigen Reich“ sind noch schlappe 988 Jahre nicht in Anspruch genommen, schon vergessen?
Da muss man den aufgescheuchten Damen und Herren in den Parteizentralen in Berlin und München mal wieder ins verängstigte Gedächtnis rufen, dass das Volk sehr wohl eine starke Sehnsucht nach geraden Tönen hat und dass Politik immer dann Leid über ein Volk gebracht hat, wenn Schiefes den Ton angab.
Zum Schluß sei noch an den Dresdner Schriftsteller Erich Kästner und sein Gedicht "Sachliche Romanze" erinnert, das, adaptiert auf die heutige Zeit, wie folgt lauten könnte:
Strategische Romanze
Als sie einander gut 10 Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut)
kam‘ ihnen plötzlich die Wähler abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
und taten, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da wankte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte: Weiter nach rechts müssen wir
und es sei Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort.
Und wir können‘s einfach nicht fassen!
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