Zwischenruf Oktober 2025
Das Modell der Nächstenliebe wurde im 19. Jahrhundert durch das professionell und marktwirtschaftlich konzipierte Helfen abgelöst. Bei genauerem Hinsehen stehen sich mit dem "Helfen aus Erbarmen" und dem "Helfen aus wirtschaftlichen Gründen" zwei Modelle gegenüber, die nicht miteinander vereinbar sind. Auf uns warten unbequeme Diskussionen...
Money can't buy me love!
Seit gut 150 Jahren kann man in Deutschland professionelle Sorgeleistungen kaufen. Auch wenn das oft geschieht, so ist dies nicht mit (Nächsten-)Liebe gleichzusetzen, denn Liebe ist weder käuflich noch verkäuflich. "Money can't buy me love!".
"Schade", werden die Begüterten sagen und, "Gott sei Dank!", diejenigen, die es nicht so dicke haben, "dass man Liebe nicht kaufen kann!" ...
Mit der Professionalisierung des Helfens vollzog sich gleichzeitig auch seine Ökonomisierung. Der Nächstenliebe, die das Nachsehen hatte, bescherte das einen existentiellen Bedeutungsverlust. Seitdem befindet sie sich auf dem Rückzug und wird immer mehr zum Schatten ihrer selbst.
Der Rückzug der Nächstenliebe hat sich schleichend vollzogen und dürfte wohl in der Euphorie jener Tage auch kaum bemerkt oder gar bedauert worden sein. Und wer möchte, kann gern nachschauen, ob sich die Beweggründe, die damals zur Gründung der "Inneren Misssion" geführt haben, bis heute gehalten haben.
„Die erste Frage soll nicht sein: Was kann ich von meinem Nächsten erwarten? sondern: Was kann der Nächste von mir erwarten?“, ist ein geläufiges Zitat von Friedrich von Bodelschwingh, der mit dem Satz „Nie soll das Geld König sein, sondern die Barmherzigkeit“, ganz klar auf Nächstenliebe setzt. "Money can't buy me love!", weil Liebe ein Geschenk und deshalb nicht (ver-)käuflich ist.
"Schade", werden die Begüterten sagen und, "Gott sei Dank!", diejenigen, die es nicht so dicke haben, "dass man Liebe nicht kaufen kann!" ...
Dass den Kirchen mit dem Herauslösen der Nächstenliebe und ihrer Transformation in professionelle Strukturen nicht nur ein wesentlicher Teil ihrer Identität und ihres Auftrages abhandenkommen würde, haben die Verantwortlichen jener Tage sich wohl nicht vorstellen können. Heute, mit dem Abstand und der Erfahrung mehrerer Jahrzehnte, stellen sich da durchaus auch kritischere Fragen. Und es darf ruhig gemutmasst werden, ob es zwischen dem Professionalisieren der Nächstenliebe und den leeren Kirchenbänken heutiger Tage vielleicht einen Zusammenhang geben könnte.
Während der biblische Ansatz des Helfens mit Liebe und Erbarmen zu tun hat, ist der des professionellen Helfens von bestimmten Vorbedingungen abhängig, wie beispielsweise der Qualifikation der Helfenden und der Gewissheit, die Kosten des Helfens erstattet zu bekommen. "Money can buy me care!" ...
Beiden Ansätzen, dem Helfen aus dem Impuls der Nächstenliebe heraus und dem professionellen Helfen, liegen unterschiedliche Haltungen und Menschenbilder zugrunde, die eigenen Logiken folgen und im Kern nicht vereinbar sind.
Es geht nicht darum, zu bestreiten, dass die professionellen Hilfen tagtäglich vielen Menschen in unserem Land gute Dienste tun, sondern darum, dass diese Hilfen anfällig sind, weil sie Vorbedingungen (qualifiziertes Personal, Finanzierungssicherheit,...) benötigen, ehe sie zur Entfaltung kommen. Das aber widerspricht dem Ansatz der Nächstenliebe, zu deren Selbstverständnis es gehört, gerade keine Vorbedingungen zu stellen.
Da Hilfe, die nach marktwirtschaftlichen Kriterien konzipiert ist, immer nur solange verfügbar ist, wie diese beiden Kriterien gegeben sind, ist sie nicht geeignet, die gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern. Hier outet sich das System als unmenschlich und dem Geist der Nächstenliebe widersprechend. Zudem führt es uns vor Augen, dass es, trotz all seiner Erfolge, nicht zukunftsfest ist.
Hierfür braucht es ein Modell, das einer anderen Logik als der des Marktes folgt. Dass dies dem tradierten Denken widerspricht, macht es dabei nicht einfacher. Den großen christlichen Kirchen dürfte hier, ob es ihnen passt oder nicht, eine besondere Rolle zufallen, da sie traditionell von Nächstenliebe am meisten verstehen.
Das wird nicht ohne Konflikte mit denen abgehen, die Helfen zur Ware gemacht haben. "Money can't buy me love!".
Uns aber ist zu wünschen, dass noch einmal so etwas wie einen Ruck durch die Kirchenbänke geht, und der Geist der Nächstenliebe sich aufmacht, verlorenes Terrain zurückzuholen.
"Schade", werden die Begüterten sagen und, "Gott sei Dank!", diejenigen, die es nicht so dicke haben, "dass man Liebe nicht kaufen kann!" ...