Kolumnen
#InclusionMeAndYou
Es kommt nicht allzu oft vor, dass es Themen der Menschen mit Behinderungen bis in die „Tagesschau“ schaffen. Die Börsenkurse haben es da irgendwie einfacher. Vor zwei Jahren, als Angst und Wut über den dreisten Plan, die UN-BRK in einem Gesetz umzusetzen, das gleichzeitig auch die Ausgabendynamik bremsen sollte, sich Bahn brachen, da war es wohl das letzte Mal, dass der Durchschnittsbürger etwas von dem erfuhr, was Menschen mit Behinderung bewegt.
In diesen sehr bewegenden Tagen bestätigte sich die Erfahrung, dass die größte Energie immer dann entsteht, wenn sich eine Gruppe von Menschen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt. Je größer die Gruppe und je größer dann noch die gemeinsame Schnittmenge, desto effektiver ist sie.
Das war übrigens 1989 nicht anders.
Die beflügelnde Erfahrung, dass man gemeinsam viel stärker ist und viel mehr bewegen kann, ist mittlerweile verflogen. Der Alltag hat sich zurückgemeldet und jeder sitzt über seine landesspezifischen Ausführungsgesetze gebeugt und ist mit intensivem Grübeln und Kopfschütteln beschäftigt.
Während es bei dem großen Thema der Umsetzung des BTHG durchaus vorstellbar ist, noch einmal mit Transparenten und Trillerpfeifen in Berlin vorstellig zu werden, sieht das bei dem eigentlichen Thema, nämlich der Umsetzung der UN-BRK, schon ganz anders aus.
Hier lässt sich, quasi im Umkehrschluss, die These aufstellen, dass deshalb so wenig im Bereich der Inklusion erreicht wurde, weil es bis heute keine wirkliche Geschlossenheit gibt. Dass die schulische Inklusion gesellschaftlich breit diskutiert wird, macht es nicht besser, im Gegenteil. Auch hier gilt, dass das Thema wohl breit, aber sehr zerfahren und bisweilen auch sehr dogmatisch diskutiert wird. Fakt ist, dass sich bisher keine klaren Mehrheiten gebildet haben.
Dass es im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs unterschiedliche Einschätzungen und Ansichten gibt, ist dabei selbstverständlich. Wenn aber die Fachleute untereinander auch noch zerstritten sind, dann kann eine notwendige Veränderung keine Fahrt aufnehmen. Dringend anzupackende Themen werden liegengelassen und es bleibt bei freundlichen Lippenbekenntnissen.
Die Diskussionen um den Klimawandel sind ein solches Beispiel. Dass wir, Mitte Oktober, noch in Sommerkleidung flanieren, ist schon komisch. Aber solange sich Wissenschaftler, also diejenigen, von denen der Laie erwartet, dass sie sich auskennen und ihre Fachexpertise in den öffentlichen Diskurs einbringen und der Politik Empfehlungen und Hinweise geben, sich nicht einig sind, bestellt sich Otto Normalverbraucher seinen fetten SUV und freut sich über den „goldenen Herbst“.
Wer als Autobauer daran interessiert ist, seine schicken SUVs zu verkaufen, wird versuchen, auf die öffentliche Meinung Einfluss zu nehmen, indem er eine kontroverse Diskussion befeuert und versucht, die Konzentration vieler Menschen auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu verhindern. Da kann man sich dann auch schon mal schnell ein Gefälligkeitsgutachten erstellen lassen.
Seit Jahren ist zu beobachten, dass die Erbringer von Sozialen Dienstleistungen es nicht schaffen, sich so geschlossen zu präsentieren, dass sie echte Veränderungen erreichen. In der Pflege beispielsweise, hat man sich, so scheint es zumindest, wohl auf gemeinsames Jammern verständigt, aber nicht auf gemeinsame Vergütungsstrukturen.
Auch im Bereich der Teilhabe fehlt die Entschlossenheit. Als damals in den Fachkreisen die Forderung nach einer neuen Heimenquete aufkam, waren längst nicht Alle begeistert. Der Idee fehlte die Kraft, weil sie nicht genug Begeisterte hinter sich scharen konnte.
Aber auch das Thema Inklusion kommt nicht richtig voran. Auch hier gibt es sehr gegensätzliche Interessen. Der zentrale Konflikt begründet sich darin, dass Inklusion ohne einen gleichzeitigen Abbau von Sonderwelten nicht zu haben ist. Wer vollmundig nach Inklusion ruft, aber gleichzeitig den Erhalt (und den weiteren Ausbau) von Sonderwelten fordert, der muss sich nicht wundern, wenn genau das passiert was er will: nämlich nichts.
Womit wir bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. (BAG WfbM) wären. In ihrer Stellungnahme vom 01. Oktober 2018 zur Staatenprüfung der Bundesrepublik Deutschland führt die BAG WfbM aus: „Werkstätten sind Teil der Lösung … denn sie machen den Arbeitsmarkt in Deutschland erst inklusiv.“
Bis zum Beweis dieser Aussage ist ihr scharf zu widersprechen. Dass die Stellungnahme auch von „Werkstatträte Deutschland“ mitgetragen wird, macht es nicht besser. Im Gegenteil. Das hinterlässt obendrein noch so etwas wie ein Geschmäckle. Welche Definition von Inklusion liegt dieser Aussage zugrunde und welche Definition von Inklusion haben die Verfasser der UN-BRK? Das scheint nicht deckungsgleich zu sein.
Die Stellungnahme dürfte den Werkstätten eine kleine Verschnaufpause bescheren, entbindet sie aber nicht von der Verpflichtung, die UN-BRK umzusetzen. Dem Thema „Inklusion“ jedenfalls, und all den Menschen, die in der Sozialen Arbeit tätig sind und/oder ihre Leistungen in Anspruch nehmen, dürfte sie vermutlich einen Bärendienst erweisen.
Partikularinteressen schaden immer dem Gesamtprozess. Es geht nicht um den Erhalt von Werkstätten, sondern um die Umsetzung der UN-BRK in der Bundesrepublik Deutschland. Es geht um den praktischen Beitrag der Sozialen Dienstleister bei dieser Aufgabe und um ihre fachlichen Beiträge in den öffentlichen Diskussionen. Das kann nur gelingen, wenn es identische Definitionen und Vorstellungen gibt. Wenn die Fachleute mal so und mal so reden, dann wird sich nicht viel ändern. Dann wird umetikettiert, nicht aber neu gestaltet.
Genauso wie wir vor lauter sich widersprechender Experten nicht wissen, ob wir nun schon mitten im Klimawandel stecken oder nicht, genauso weiß dann am Ende kein Mensch mehr, ob wir nun schon Inklusion haben oder noch nicht.
Erschwerend kommt hinzu, dass mittlerweile auch in der Sozialen Arbeit moralische Begriffe altmodisch und unüblich geworden sind. Dafür verantwortlich sind die Ökonomisierung und die Vermarktwirtschaftlichung des Sozialen. Die neoliberale Denke der neunziger Jahre zeigt nun ihre Früchte.
Der Glaube an moralische Werte wurde vom Glauben an Kennzahlen abgelöst. Mittlerweile aber haben wir lange genug über Geld geredet und es ist höchste Zeit, endlich wieder über Werte, wie beispielsweise Inklusion, zu reden.
Es ist auch nicht wirklich überraschend, dass die letzten großen gesellschaftlichen Impulse, die von der Sozialarbeit ausgingen, aus den 70er bzw. den 80er Jahren stammen. Beispielhaft seien hier die Psychiatrie-Enquete und die Enthospitalisierung/ Auflösung von Komplexeinrichtungen genannt. Wer durch die Brille von damals, also sozusagen kennzahlenfrei, auf Heute sieht, wundert sich dann auch nicht mehr wirklich darüber, wie offensichtlich willfährig das BTHG umgesetzt wird.
Um das Thema „Inklusion“ beflügeln zu können, braucht es einen breiten Diskurs und einen klaren Konsens unter den Fachleuten, was denn bitteschön nun Inklusion ist und was nicht. Gegenwärtig aber fehlen, das offenbart die BAG WfbM-Stellungnahme, sowohl ein Konsens als auch Verständigungen, wie denn der kleinste gemeinsame Nenner aussehen könnte. Offensichtlich fehlt auch Jemand, der diesen Diskurs anregt und steuert.
Ob die bestehenden Strukturen in der Lage sind, den dringend notwendigen Anstoß für eine übergreifende Fachdebatte zum Thema „Inklusion“ geben zu können, ist allerdings zu bezweifeln. Impulse, die Bestehendes verändern wollen, kommen selten aus dem Bestehenden selber. Auch dafür ist die BAG WfbM-Stellungnahme ein Beleg.
Mehr Chancen hat es, wenn sich das Thema eine Person, ein Verein oder ein Verband auf den Tisch zieht. Den Hut in den Ring werfen und los geht’s! Zwanzigsechszehn hat gezeigt: Es geht mehr!
Mit einem möglichen Hashtag "#InclusionMeAndYou" beispielsweise.
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