Zwischenruf September 2025
Gestatten, "Boomer!" - oder: Familie war gestern, heute ist Generation
Jetzt sind wir dran!
"Wir", das sind auf der einen Seite wir Alten, denen man den Stempel "Boomer" auf die graumelierten Schläfen gedrückt hat, und "Wir", das ist auf der anderen Seite unser Nachwuchs, für den man Schubladen mit so aussagekräftigen Beschriftungen wie "Gen Z", "Millenials", "Gen Y" oder auch "Gen Maybe" kreiert hat.
Obwohl bekannt sein dürfte, dass längst nicht jeder Bayer Lederhosen trägt, erliegen Menschen allzu gern der Versuchung, sich und ihren Mitmenschen die Welt durch Verallgemeinerungen eindeutiger machen zu wollen, als sie es tatsächlich ist, obwohl sich gezeigt hat, dass Verallgemeinerungen eher zu Unheil und Zerstörung führen, als zu einer Verbesserung des gesellschaftlichen Klimas. Das war schon immer so. Und auch der politische Erfolg populistischer Haudraufs beruht darauf, dass sie komplexe Sachverhalte schleifen, bis es nur noch eine Antwort gibt. Wenn bloß alles immer so eindeutig wäre!
Familie war gestern, heute ist Generation.
Vereinfachungen vom Feinsten, die harmlos erscheinen, weil sie irgendwie sozialwissenschaftlich klingen und uns nebenbei das schäbige Gefühl geben, wieder einmal etwas verpasst zu haben, weil wir nicht genau wissen, welches unserer Kinder wir nun zur "Gen Y" und welches zur "Gen Z" zu zählen haben.
Dass wir, weil wir zu unterschiedlichen Zeiten geboren sind, unterschiedlichen Generationen angehören, ist nun nicht wirklich als bahnbrechende Feststellung zu bezeichnen. Neu dagegen sind starre Zuschreibungen, die uns füreinander identifizierbar machen sollen und allgemein Aufschluss darüber zu geben beanspruchen, wer und wes Geistes Kind wir sind, ohne dass man überhaupt noch ein Wort miteinander wechseln muss.
Wir Boomer, so die Menschen, die auf Konfrontation setzen, haben unsere Nachkommen, missachtet und uns auf deren Kosten ein fettes Leben gemacht, uns einen kräftigen Schluck aus der Pulle genommen, hauptsächlich nur an uns gedacht und unseren Kindern und Enkelkindern wissentlich und vorsätzlich eine Gegenwart beschert, die keine Zukunft hat. Nach uns unser Kinder Sintflut sozusagen.
Ein Narrativ, bei dem es plausibel klingt, von den Boomern verantwortliches Handeln über deren Ruhestand hinaus zu fordern. Die Ärmel hochkrempeln, noch eine Schippe drauflegen und den nachfolgenden Generationen etwas von dem zurückgeben, was man ihnen genommen hat. Als Umrechnungsfaktor zur Ermittlung des Umfangs der gemeinnützigen Arbeit könnte man ja die Zahl der im Laufe eines Boomerlebens entkorkten Champagnerflaschen heranziehen.
Wenn es nicht so ernst wäre, dann könnte man sich darüber lustig machen. Aber es ist eben nicht lustig. Und einfach schon gar nicht. Klar aber ist, dass es Menschen noch lange nicht zu einer homogenen Gruppe macht, wenn sie im selben Jahrzehnt geboren sind und man dem Jahrzehnt chrakteristische Merkmale zuschreibt.
Deshalb ein klares Nein zu dem Ansinnen, Familien und ihre einzelnen MItglieder in Generationen aufzuspalten und diese durch pauschale Zuschreibungen gegeneinander aufzuwiegeln! Nein zu denjenigen, die mit dem Feuer spielen, nur weil ihnen gerade irgendwie kalt zu sein scheint. Denn wenn der Geist erst einmal die Flasche verlassen hat, dann dürfte es vor lauter sozialer Kälte ganz schön heiß hergehen. Und dann werden diejenigen, die gezündelt haben, für sich in Anspruch nehmen, missverstanden worden zu sein.
Die Linie verläuft nicht zwischen unterschiedlichen Generationen, sondern zwischen Menschen mit unterschiedlich starken Schultern, die es in jeder Generation gibt. Eine solche Linie, auch wenn sie nicht so trennscharf zu ziehen ist wie das Datum einer Geburtsurkunde, hat das Zeug, Diskussionen zu versachlichen und damit einen Beitrag zu leisten, einen möglichen Aufstand der Generationen unwahrscheinlicher zu machen.
Das Thema ist zu komplex für einfache Antworten...