Zwischenruf Oktober 2024
Es hätt noch immer jot jejonge...
Um gleich mal mit der Tür ins Haus zu fallen: Es geht um eines dieser klassischen Themen, die sich seit Jahren in der kleinen Kiste mit der Aufschrift „Zu Erledigen“ befinden und in der man alle Themen aufbewahrt, die wichtig und unbequem zugleich sind: „Mit wem muss ich mich über meine Wünsche unterhalten, wie ich leben möchte, wenn ich altersbedingt auf Hilfe angewiesen sein sollte!“
Mitunter sind diese Vorstellungen äußerst unklar. Der Klassiker lautet: 'Wenn ich mal irgendwann nicht mehr kann, dann gehe ich ins Pflegeheim. Ich will meinen Kindern später mal nicht zur Last fallen."
Auch schon gedacht? Na, dann willkommen im Klub derer, die es für den für sie besseren Weg ansehen, nicht den eigenen Verwandten, sondern lieber Fremden zur Last fallen zu wollen und die für diese selbstbestimmte Idee selbstverständlich auch selbstlos die ihnen vertraute Umgebung aufgeben!
Kaum zu glauben und kaum zu ertragen, welche Zukunftsideen für den Fall, dass man auf Hilfe angewiesen sein wird, so existieren. Jedenfalls fühlt und ahnt man, dass dieser „Plan“ oftmals nicht der eigentliche und ehrliche Wunsch des Betreffenden ist, sondern dass er eher aus einer Art „Einsicht in die Notwendigkeit“ zu resultieren scheint. Und ein wenig Ängstlichkeit und Unbeholfenheit scheinen auch eine Rolle zu spielen. Ist halt ein Tabuthema, das Altwerden. Und Entscheidungen, die in diesem Zusammenhang zu treffen sind, sind in jeder Hinsicht herausfordernd.
Aber der Reihe nach:
Wer denkt, dass er niemandem zur Last fällt, wenn er sich entscheidet, seinen Kindern nicht zur Last fallen zu wollen, irrt. Er fällt Fremden zur Last. Und das Argument, dass diese "Fremden" sich ja doch diesen Beruf ausgesucht hätten und dafür schließlich auch entlohnt würden, bekommt ein anderes Geschmäckle, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die Gruppe der Pflegekräfte diejenige ist, die bundesweit den höchsten Krankenstand aufweist, dass sie nicht sonderlich gut vergütet wird und dass sie zahlenmäßig so gering ist, dass sie ohne Unterstützung ausländischer Kolleg*innen gar nicht hinterherkommt, all diejenigen zu pflegen, die sich ihnen bereits zugemutet haben.
Ja, und wenn man dann Glück hat und die fremden Menschen, denen man sich zugemutet hat, gesund und motiviert sind, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass ihre Zahl so gering ist, dass dieses nicht nur Auswirkungen auf den konkreten Heimalltag hat, sondern auch auf den Betrieb des Heimes insgesamt. Hier ist die Rede von der Pleitewelle im Bereich der Pflegeheime. Der Arbeitgeberverband Pflege e.V. hat vor einigen Wochen eine Deutschlandkarte zum Heimsterben herausgebracht. Ein Blick darauf kann motivierend wirken, die Entscheidung, sich lieber einem Heim zuzumuten, noch einmal zu überdenken…
Eine weitere Entscheidungshilfe kann ein Blick auf die Seite der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin darstellen. Dort findet sich eine umfangreiche Tabellenübersicht zu aktuellen Projekten zur Digitalisierung in der Pflege. Das klingt, um das mal vorsichtig zu formulieren, mehr technisch als menschlich. Wer mag, kann auch gern, quasi „On Top“ und als Vertiefung in die Materie, das WWW zu dem Begriff „Pflege 4.0“ befragen. Das ist sehr ernüchternd. Ja, auch ein Pflegeroboter kann durchaus ein netter Kerl sein.
Auch kann es erhellend sein, nachzurechnen, mit wievielen anderen Pflegebedürftigen man sich eigentlich "die Fremden" am Sonntag im Spätdienst zu teilen hat. Klar, dass man da gern seinen Angehörigen einen unbeschwerten Spaziergang im Stadtpark ermöglicht. Ist halt kein Honigschlecken, das alles. Und irgendwann sind sie ja schließlich auch mal an der Reihe. Und spätestens dann werden sie die Entscheidung zu würdigen wissen.
Welch schönes Signal an den Nachwuchs, dem man ja bereits mit dem ersten Atemzug wünschte, dass er es einmal besser haben sollte als man selber. Und das schließt, natürlich, eine (mögliche) Pflege der eigenen Person kategorisch aus. Da ist man eben bescheiden.
Wenn man bedenkt, dass ein Pflegeheimplatz monatlich gut 2.800 € (> HIER) kostet, dann darf man ruhig einen Moment länger überlegen, was man für sein Geld geboten bekommt und was für und was gegen diese Investitionen spricht, ehe man den (Heim-) Vertrag unterzeichnet.
Knapp Dreitausend im Monat, das will überlegt sein. Macht man ja bei anderen regelmäßigen Aufwendungen in vergleichbarer Größenordnung auch. Zudem noch nicht einmal genau klar ist, ob am Tag X Rente und Erspartes überhaupt ausreichen. Und, sollte dies der Fall sein, wie lange es ausreichen wird und was geschieht, wenn es nicht mehr ausreicht.
Auch eine kleine Recherche zu dem Begriff der „strukturellen Gewalt“ kann nicht schaden. Moderne Heime zeichnen sich doch tatsächlich u.a. auch dadurch aus, dass sie sogar über ein Gewaltschutzkonzept verfügen. Das macht die Entscheidung, wem man sich denn nun zumuten möchte, dann doch wieder irgendwie leicht. Dürfte vermutlich nicht allzu gut kommen, wenn man gleich im ersten Gespräch darum bittet, das Gewaltschutzkonzept der Einrichtung einsehen zu dürfen. Und welches die möglichen Gründe sein könnten, warum der Gesetzgeber die Einrichtungen zum Erstellen von Gewaltschutzkonzepten verpflichtet hat, denkt man lieber nicht. Weiterdenken sollte man aber schon.
Je größer die Kohorte der Menschen wird, die sich mit diesen Fragen befasst, desto notwendiger ist es, diesem Thema auch mehr Raum zu geben und es zu einer gesamtgesellschaftlichen Angelegenheit zu machen, auch wenn es sich, natürlich, immer um persönliche und individuelle Entscheidungen handelt.
Und es zeigt sich, dass die Frage: „Familie oder Heim?“ oftmals eine vorschnelle Engführung ist. Wer mag, kann gern noch ein wenig bei der Frage verweilen und darüber sinnieren, wer eigentlich ein Interesse daran haben könnte, dass dies so ist und dass es sich nach Möglichkeit auch nicht ändern sollte...
Tatsächlich aber geht es um innovative Ideen und tragfähige Konzepte des Zusammenlebens. Und man ist gut beraten, dieses Thema nicht für die Zeit irgendwann zwischen Renten- und Pflegegradbescheid aufzusparen.
Denn zum Glück lassen sich mittlerweile immer mehr zukunftsweisende Ideen und Berichte über innovative Projekte sowie nützliche Tipps und Hinweise dazu im Internet finden. Ein sehr informativer Internetauftritt für ein Leben zu Hause im Alter findet sich beispielsweise beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die ganze Thematik bis zum "Tag X" einfach laufen zu lassen, weil im Leben bisher doch immer alles irgendwie jot jejonge hätt, könnte sich als unzureichend erweisen.
Altern, ist alternativlos, ja. Der Ort allerdings, an dem man dies erlebt, der ist es nicht...