Kolumnen

Der lästige Bürger



Schummelsoftware, Grundeinkommen und C-Parteien: Vor gut zehn Jahren überlegte man ernsthaft, die damals schwächelnde Wirtschaft durch Konsumgutscheine, die jeder Bürger bekommen sollte, wieder ins Laufen zu bringen. Dafür- und dagegensprechende Experten bevölkerten damals die Bildschirme und halfen uns bei unserer Meinungsbildung.

Und weil es ja nicht der mündige Bürger war, der schwächelte, sondern die ihm umgebende Wirtschaft, gab es am Ende keine Konsumgutscheine, sondern eine Prämie, wenn ein altes Kraftfahrzeug verschrottet und ein Neuwagen oder Jahreswagen zugelassen wurde. Die sogenannte „Abwrackprämie“ war geboren.

Dass nun just auch in jener Zeit die Idee der Autobauer, die Abgaswerte ihrer Motoren durch Betrug zu manipulieren entstand, mag der für Zufall halten, der an das Gute im Kapitalismus glaubt. Aber was ist schon eine Milliarde Bußgeld? Bei einer möglichen Ahndung von Konsumgutscheinmissbrauch wäre wohl kaum eine solche Summe aufgelaufen…

Ist es nicht komisch, dass unser System ein starkes Interesse daran hat, uns Glauben zu machen, dass wir Bürer uns vor einzelnen Menschen mehr fürchten müssen als Institutionen, Konzernen, Parteien und Verbänden? Was ist schon der gewiefte „Florida-Rolf“ gegen ein bisschen verbaute Schummelsoftware?

Wieso schaffen es die Meinungsmacher immer wieder, uns einzureden, dass Unternehmen wie „Amazon“ und „H&M“ weniger gefährlich für unser System seien als einzelne Bürger?

Es scheint System zu haben, dass uns „Deutschlands frechster Arbeitsloser“ und „Deutschlands frechster Sozialschmarotzer“ (BILD) voyeuristisch präsentiert werden, uns aber gut aufbereitete Fakten über „Nestlè“ erst weit nach Mitternacht im öffentlich-rechtlichen Spartenkanal angeboten werden.

Schadet ein bedingungsloses Grundeinkommen und ein kostenloser öffentlicher Personennahverkehr unserem System tatsächlich mehr als das, von dem die Autoindustrie will, dass wir es „Abgasskandal“ nennen?

Etwas schon vergessen -und wenn ja: Wer könnte daran Interesse haben?-. dass es in Deutschland (West) ein Kampfflugzeug namens „Starfighter“ gab?

Die FAQ’s: Bis 1991 waren bei der Bundeswehr 916 „Starfighter“ im Einsatz, von denen 300 durch Unfälle verlorengingen, darunter 269 Abstürze, bei denen insgesamt 116 Piloten (108 Deutsche und 8 US-Amerikaner) ums Leben kamen. Stückpreis im Jahr 1961 rund 6 Mio DM

(WIKIPEDIA). Aber was ist das gegen den „Schaden“, den unser System durch beispielsweise stetig steigende Ausgaben für Menschen mit Behinderungen ausgesetzt ist?

Anmerkung 1: Dass es teurer wird, weil die Zahl der Leistungsberechtigten, nicht aber die Zahl der für den Einzelnen erbrachten Leistungen steigt, gehört zu dem, von dem die Verantwortlichen hoffen, dass wir es nicht merken.

Anmerkung 2: Und nicht vergessen: „Fünf aus Neun“ liegt nicht im Papierkorb, sondern auf Wiedervorlage!

Wie im Krimi die Spur zum Mörder über die Frage führt, wer denn eigentlich vom Tod des Opfers am meisten profitiert, lässt sich die ethische Gesinnung politischer Entscheidungen dadurch identifizieren, indem man die Frage stellt, wer denn von politischen Entscheidungen am meistenprofitiert.

Wer „profitiert“ eigentlich von einem Gesetz, das, „im Licht der UN-BRK geschrieben, die Ausgabendynamik bremsen soll?

Seit Jahren setzt sich der Eindruck fest, dass sich die Politik vom Bürger entfernt und dass er, der einst „im Mittelpunkt stand, ihr zusehends im Weg zu stehen scheint. Dieser Eindruck besteht insbesondere dann, wenn es um Personengruppen geht, denen gegenüber der Staat eine besondere Schutzpflicht hat: Menschen mit Behinderungen, pflegebedürftige Menschen, geflüchtete Menschen und Kinder.

Hier wird gespart, geheuchelt und abgeduckt und das „C“ diverser Parteien so weit gedehnt, dass mittlerweile wohl für „Chamäleon“ steht. Und die, die sich eigentlich schämen sollten, scheinen, wenn überhaupt irgendetwas zu bedauern, einzig zu bedauern, dass sie sich selber noch nicht klonen können.

Es geht um eine Neubesinnung, es geht um Bürgerzugewandtheit statt Industrie- bzw. Kapitalhörigkeit. Wer der Ansicht ist, dass wir heute dieselben Probleme hätten, wenn sich das das politische Establishment für Konsumgutscheine statt Abwrackprämie entschieden hätte, mag gern vortragen.

Und erst gar nicht auszudenken, wo wir heute stünden, wenn das Geld in den Ausbau Sozialer Infrastruktur gesteckt worden wäre.

Den politisch Verantwortlichen scheint das Gespür dafür abhandengekommen zu sein, wofür sie eigentlich da sind. Da, wo Geld in der Lage ist, sich aus sicher selbst heraus zu vermehren, stört Max Mustermann und sein Anspruch auf reine Luft und nitratfreies Trinkwasser einfach nur lästig. Und es ist allemal einfacher, mit Lobbyisten zu sprechen als mit Opa Heinz.

Und während die einen zum kostenfreien Arbeitsessen sogar auch schon einen ausformulierten Vorschlag zu einem Gesetzentwurf mitbringen, muss man für die anderen Kugelschreiber, Schlüsselanhänger und Luftballons mitbringen, um sich dann deren ungehobelte Forderungen und polemisch vorgetragenen Ängste und Erwartungen auszusetzen.

Er ist nur scheinbar lästig, der Bürger. Größere Schäden richten Andere an. Größere in der Regel…

(Erschienen am 16.09.2018 in der Berliner Behindertenzeitung)



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