Kolumnen

Das Bundesteilhabegesetz -oder: Was wir aus der Physik lernen können


Nicht jeder, der sich gegenwärtig die Augen reibt, macht dies, weil er mit Allergie zu tun hat. Denn das, was aktuell in Berlin geschieht, kann sogar allergieresistenten Zeitgenossen das Wasser in die Augen treiben. Nein, dabei geht es nicht um diesen Herrn Komiker, der diesen Herrn Staatspräsidenten zum Beschreiten des demokratischen Rechtsweges angestachelt hat und es geht auch nicht um diejenigen, die ein unleserliches Schild an einem mittelamerikanischen Briefkasten ihr Eigen nennen, sondern es geht um diejenigen, denen man die Aufgabe übertragen hat, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, der in Deutschland lebenden Bürgern mit Behinderungen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht.

Aus der Physik wissen wir, dass zwei gegensätzliche Kräfte sich in ihrer Wirkung aufheben. Wenn Heiß auf Kalt trifft, dann entsteht etwas, was laienhaft getrost als „weder noch" beschrieben werden kann.

Setzt man nun an die Stelle von „Heiß" die Formulierung „Dabei werden wir die Neuorganisation der Ausgestaltung der Teilhabe zugunsten der Menschen mit Behinderung so regeln, dass keine neue Ausgabendynamik entsteht", wie sie im Koalitionsvertrag der Bundesregierung zu finden ist, und an die Stelle von „Kalt" die Aussage „Die Vertragsstaaten (Anm.: u.a. auch Deutschland) verpflichten sich, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern.", wie sie in dem „Übereinkommen der Rechte von Menschen mit Behinderungen" zu finden ist, dann ist auch hier zu erwarten, dass am Ende nichts anderes herauskommen wird, als ein „weder noch".

Wenn man die seit Jahren kontinuierlich von den Arbeits- und Sozialministern der Bundesländer vorgetragene Forderung, die Regierung möge endlich die Eingliederungshilfe reformieren, auf ihren Impuls hin untersucht, so verdichtet sich der Eindruck, dass die Sorge um (stetig steigende) Kosten die eigentliche Motivation darstellt und dass die weitern Formulierungen eher so etwas sind wie ein nettes und unverfängliches Beiwerk.

Da wollen Vater und Mutter ihren Kindern das Taschengeld kürzen und wissen, dass dies nur gelingen kann, wenn der Nachwuchs auch für sich darin einen Vorteil sieht. Also initiieren Vater und Mutter einen „Runden Tisch Taschengeld" und geben den Kindern ausreichend Gelegenheit sich (wozu eigentlich?) zu äußern.

Die Eltern haben beschlossen, bevor sie den Kindern sagen, wie die neue Taschengeldregelung aussehen wird, ihre Kinder in Ruhe anzuhören. Jedes ihrer Argumente, so machen sie den Kindern Glauben, könne Einfluss auf die zu erwartende Neuregelung haben.

Mit hochrotem Kopf und hitzigem Gemüt wird alles vorgetragen, was den Kindern, die sich freuen („Hurra, endlich sprechen die Eltern mal mit uns über uns!"), dass sie zu Dingen, die sie betreffen, gefragt werden. Stumm sitzen die Eltern da und hören sich alles an, ohne sowohl selbst etwas zu den Vorschlägen und Ideen der Kinder zu sagen, als auch eigene Ideen und Vorstellungen kund zu tun.

Als die Kinder, irgendwann merken, dass die eigenen Eltern nahezu stumm dasitzen und sie ihre Eltern bitten, sich doch mal zu ihren Vorschlägen zu äußern, sagen die Eltern, dass ihr Schweigen beabsichtigt sei und sie, ihre Kinder, die einmalige Chance hätten, sich umfänglich, und ohne unterbrochen zu werden, zu äußern. Ihnen, den Eltern, ginge es darum, die Ideen ihrer Kinder zu erfahren, die sie, die Eltern, dann in ihre weiterführenden Überlegungen einbeziehen könnten.

Irgendwann, so vermuten wohl die Eltern, werden sich die Kinder so in Details verlieren, dass sie den schnöden Grund der Zusammenkunft vergessen, der da lautet: Wir, Eure Eltern, möchten künftig nicht mehr Geld für Euch ausgeben und Euch gleichzeitig aber sagen, dass wir Euch noch nie so lieb hatten wie gerade jetzt.

Womit wir wieder bei der Physik wären.


Zurück zur Übersicht der Kolumnen