Kolumnen

Werden Betroffene durch das Bundesteilhabegesetz zu Teil-Habenichtsen??


Es scheint etwas ruhiger geworden zu sein um das Bundesteilhabegesetz (BTHG). Die Autoren und Macher des Stückes „Die Reform der Eingliederungshilfe“ (Untertitel: „Im Spannungsfeld zwischen dem besorgniserregenden Abschmelzen euthanasiebedingter Spareffekte und der deutschen Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention") präsentieren ein Stück in mehreren Akten und hoffen darauf, dass der geneigte Zuschauer sich seine Kraft so einteilt, dass sie bis zum letzten Akt reicht und er sich deshalb zwischendurch keine spontanen Aktivitäten erlauben kann, oder dass er gleich zu Beginn anfängt, einzunicken.

Nun befinden wir uns also noch im ersten Akt und gerade hat die Theaterleitung, als kleine Abwechslung und zum Pläsir der Zuschauer, die Förderbedingungen für die „Ergänzende trägerunabhängige Teilhabeberatung“ (EUTB) ins Publikum geworfen. Und schon stellt sich Gerangel ein, wie wir es von den Wühl- und Schnäppchentischen der Billigbuden kennen.

Mal ganz ehrlich: Löst die EUTB unter Umständen ein Problem, das vorher gar nicht bestand, bzw. nicht 59 Mio. Euro schwer ist? Peer ist Peer und Schnaps ist Schnaps. 5% Eigenmittel, das grenzt schon aus, bevor es losgeht. Und alles brav an die Fachstelle melden. Da erblickt etwas das Licht der Welt, das stark an längst Verblichene und längst Verblichenes erinnert. Da reicht als Reizwort allein der Begriff „Servicestelle“ aus. Aber nur zu. Was soll man auch von Autoren erwarten, die an ihrem Stück  „Im Licht der UN-BRK“ geschrieben haben?

Noch sitzen wir als Zuschauer im Theater und warten auf die Beantwortung zweier wichtiger Fragen: Wer wird Träger der Eingliederungshilfe (Hinweis für das unerfahrene Theaterpublikum: Hier wird nicht rational und/ oder ökonomisch, sondern politisch entschieden. Also: Nicht überrascht sein, aber überrascht tun!) und, zweitens, welches Instrument als Grundlage zur Feststellung des individuellen Hilfebedarfs zur Anwendung kommen soll.

Hier stehen die Chancen nicht schlecht, dass wir tatsächlich überrascht werden. Denn die Bedarfsermittlung ist das eigentliche zentrale Thema der Reform, das Herzstück gewissermaßen. Denn hier werden Inhalt und Umfang der Leistungen ermittelt, die am Ende in einen Geldwert zu überführen sind. Es braucht eine Verständigung darüber, wie man von dem ermittelten Bedarf und der bewilligten Leistung zum Entgelt kommt. Egal, welches Verfahren denn nun das Rennen machen wird.

Man stelle sich nun die Gesamtausgaben im Bereich der Eingliederungshilfe als einen Kuchen vor, der, entsprechend der Leistungsbereiche, in unterschiedliche große Stücke geteilt ist: Die Wohnstätten, die Werkstätten, das ambulant betreute Wohnen und so weiter. So weit so gut.

Nun werden also in naher Zukunft alle Leistungsberechtigten neu eingeschätzt. Darunter sind viele Personen, die Leistungen erhalten, die in der Vergangenheit nie mittels eines Verfahrens ermittelt wurden. So gibt es Bundesländer, in denen aktuell in den Werkstätten, in den Wohnstätten für chronisch-psychisch kranke Menschen, in den Tagesstätten, im ambulant betreuten Wohnen, in Wohneinrichtungen für suchtkranke Menschen, etc. keine den BTHG-Vorgaben entsprechende Bedarfsermittlung erfolgt. Da wurden und werden Bedarfe, Leistungen und Preise ohne Bedarfsermittlungsinstrument ermittelt. Das wird sich nun ändern und da ist es wahrlich nicht denkbar, dass die Anwendung eines Hilfebedarfsermittlungsinstruments bestätigen wird, dass die bisherigen Leistungen (zufällig) genau bedarfsgerecht waren.

Zu erwarten ist, dass der bisherige Kuchen nicht ausreichen und dass ein größerer Kuchen zu backen sein wird.

Bei den ganzen Diskussionen ist lediglich auf ein Wort zu achten, das elektrisieren muss, und bei dem die roten Lichter anzugehen haben: Es ist das Wort „Verpreislichung“, oder noch ein wenig schwersprachlicher formuliert, das der „Quantifizierung“. Denn die Kostenträger lassen bereits schon durchblicken, dass sie keinen „Kostenaufwuchs“ wollen und dass vielmehr eine „kostenneutrale“ Umstellung zu erfolgen habe. Die Botschaft ist klar: Nur weil wir jetzt mit einem Hilfebedarfsermittlungsinstrument unterwegs sind, müsst Ihr ja nicht glauben, dass Ihr mehr Leistungen bewilligt und bezahlt bekommen werdet.

Wer erstmals in allen Lebensbereichen und für alle Zielgruppen systematisch eine Hilfebedarfsermittlung vornimmt und vorab schon ankündigt, in jeden Fall keinen Cent mehr ausgeben zu wollen, der betreibt so etwas wie UN-BRK-Lästerung.

Es steht aber zu befürchten, dass genau das passieren wird: Die Torte wird gleich groß bleiben und lediglich die Stücke werden neu geschnitten. Weniger für alle in mehr Lebensbereichen. Hat auch eine Logik. So produziert man Teil-Habenichtse.

Das sind Menschen, die dem Bauern gleichen der nur eine einzige Kuh hatte und dem ein windiger Vertreter trotzdem eine Melkmaschine aufschwatzte und, als es ans Bezahlen ging, er dem Bauern leutselig anbot, dessen Kuh gleich in Zahlung zu nehmen.

Teil-Habenichtse, das sind diejenigen, denen man die Augen mit UN-BRK-Gesülze verkleistert hat und die wirklich glauben, dass sie vollumfänglich selbstbestimmt teilhaben können. Das sind diejenigen, die entweder kognitiv nicht erfassen können, was „Mehrkostenvorbehalt“ und „kostenneutrale Umstellung der Finanzierung“ eigentlich bedeutet, oder es sich nicht vorstellen wollen. Das sind in der Regel auch die, die keine Lobby haben, und die noch nicht einmal in der Lage sind, sich ein Schloss zu kaufen, um sich vor dem Reichstag anzuketten. Das sind die, die mit Mitte Dreißig unwidersprochen einen Bescheid akzeptieren, wonach ihr Pflegebedarf überwiege und sie zum nächsten Ersten in eine Pflegeeinrichtung umzuziehen hätten.

Wem das zu polemisch ist, der kann ja mal nachschauen, was denn die Regierung alles im Zusammenhang mit dem BTHG evaluieren will und was nicht. Die Rede ist von der “Umsetzungsbegleitung“ des BTHG.  Da soll alles Mögliche untersucht werden. Nicht untersucht werden soll allerdings die Wirkung des zweiten Impulses, der zur Reform der Eingliederungshilfe geführt hat: Die Umsetzung der UN-BRK.

Das ist alles andere als ausgewogen und klingt schon sehr nach Dummenfang, wenn von zwei Reformimpulsen lediglich einer hinsichtlich seiner Wirksamkeit untersucht werden soll.

Man müsste es natürlich besser formulieren, aber es wäre durchaus eine interessante Forschungsfrage, ob das Bundesteilhabegesetz Teilhabe oder Teil-Habenichtse fördert. Da diese Frage allerdings kaum wissenschaftlich untersucht werden wird, bleibt jedem Leser nichts anderes übrig, als sich diese Frage selbst zu beantworten.


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