Kolumnen

Angemessene Wünsche


Sprache sagt viel darüber aus, wie jemand denkt. Das ist nicht neu. Und spätestens seitdem unsere amerikanischen Freunde diesen Präsidenten haben, der auf sein Gehalt verzichtet, sehen wir diese Erkenntnis täglich bestätigt.

Wir müssen aber nicht so weit gehen, sondern finden auch in unseren Breitengraden genügend Beispiele. Und es ist auch noch nicht allzu lange her, dass der oberste deutsche Richter, Andreas Voßkuhle, sich die ambitionierte Riege wahlkämpfender bajuwarischer Bierzeltrambos vornahm, um ihnen das zu sagen, was sie wissen müssten, wenn sie wüssten, was das Kreuz, das nun ihre Amtsstuben ziert, eigentlich bedeutet.

Sprache ist Denken. So weit so gut.

Aber wir finden das nicht nur in der Alltagspolitik und bei den netten Nadelstreifendamen und –herren aus dem Wahlkreisbüro nebenan, sondern auch in Gesetzen. Und es scheint, als habe sich gerade im Sozialbereich mitunter eine teilweise äußerst zweifelhafte Sprech- und Denkweise etablieren können, weil das offensichtlich ein Bereich ist, in dem man es mit Bittstellern zu tun hat. Gerade hier, wo man besonders sensibel sein sollte, findet sich erstaunlich viel Holzschnittsprache.

Oder wissen Sie, was ein „angemessener Wunsch" ist?

Können Wünsche überhaupt „angemessen“ sein? Immerhin handelt es sich um etwas Fiktives und in die Zukunft gerichtetes, etwas, das ja (ohnehin noch) gar nicht eingetreten ist.

„Der Wunsch ist ein Begehren nach einer Sache oder Fähigkeit, ein Streben oder zumindest die Hoffnung auf eine Veränderung der Realität oder Wahrnehmung oder das Erreichen eines Zieles für sich selbst oder für einen Anderen“, erfahren wir bei „WIKIPEDIA“.

Die Frage lautet: Kann etwas, das nicht real ist, denn sonst wäre es ja kein Wunsch, überhaupt „unangemessen“ sein? Wohl kaum.

„Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, ist zu entsprechen, soweit sie angemessen sind“, lesen wir da in diesem schicken UN-BRK-Strahlen-Gesetz.

Und dann liefern die Autoren gleich Kriterien mit, die aus einem Wunsch einen "unangemessenen Wunsch" machen: „Die Wünsche der Leistungsberechtigten gelten nicht als angemessen, wenn und soweit die Höhe der Kosten der gewünschten Leistung die Höhe der Kosten für eine vergleichbare Leistung von Leistungserbringern, mit denen eine Vereinbarung nach Kapitel 8 besteht, unverhältnismäßig übersteigt und wenn der Bedarf nach der Besonderheit des Einzelfalles durch die vergleichbare Leistung gedeckt werden kann.“

Sprache ist Denken.

Die Formulierung impliziert, dass es Menschen gibt, die es doch tatsächlich drauf haben, sich Unangemessenes zu wünschen, was dann wohl ganz nebenbei auch Assoziationen mit Begriffen wie „anmaßend“ und „unverschämt“ hervorrufen soll. Dabei ist es nicht der Wunsch an sich, der "angemessen" oder "unangemessen" ist, sondern es ist die (subjektive) Bewertung dessen, an den sich der Wunsch richtet, der einen Wunsch entweder als "angemessen" oder als "unangemessen" empfindet.

So zeigt die Formulierung im Gesetz, dass es hier eigentlich um die Kosten für Leistungen geht. Es ist also nicht der WUNSCH, der unangemessen ist, sondern es sind die mit einem Wunsch nach Leistungen einhergehenden KOSTEN. Diese stuft der Leistungsträger offensichtlich dann als „unangemessen“ ein, wenn sie die Kosten vergleichbarer Leistungen unverhältnismäßig übersteigen. Das ist ein kleiner aber feiner Unterschied!!

So aber lautet die Botschaft: In Deutschland hat offensichtlich nur derjenige etwas von seinem Wunsch- und Wahlrecht, der sich "Angemessenes" wünscht. Da ist es plötzlich wieder, dieses ganz große Teilhabekino, das nicht zuletzt auch in Genf regelmäßig für Kopfschütteln sorgt. Und so lautet die Lektion: Gerade beim „Wunsch und Wahlrecht“ ist der Leistungsberechtigte nicht bei „Wünsch-Dir-Was!“

Wie wäre es denn auch noch mit einem „angemessenen“ Wahlrecht?

Und wie relativ „angemessen“ ist, wird deutlich, wenn wir an den wackeren zehnten Bundespräsidenten denken, der uns und seinem Land knapp zwei Jahre (2010 – 2012) diente und dafür einen Ehrensold von jährlich zuletzt 236.000 Euro (2017, Brutto), erhält. (WIKIPEDIA). Aber auch die jährlichen Bezüge der netten Dame, die bis vor kurzem in Duisburg Menschen mit Behinderungen dabei half, ihren Rechtsanspruch auf Teilhabe am Arbeitsleben zu realisieren, sind ein Beleg dafür, dass „angemessen“ genauso relativ ist wie „unangemessen“.

Sprache ist Denken. Und deshalb kommt es darauf an, nicht die Sprache, sondern das Denken zu ändern. Die Gedanken werden sich schon die geeigneten neuen Vehikel zum Transportieren und Identifizieren neuer Sichtweisen, Konzepte und Ideen suchen.

Beim BTHG allerdings verfestigt sich der Eindruck, dass nicht das Denken, sondern hauptsächlich die Sprache neu ist. Schaut man nämlich mal abseits der Hochglanz- und Eigenlobkampagnen auf den ganzen Prozess, dann ist zu erkennen, dass das BTHG in erster Linie die Verwaltung (Zuständigkeiten, Geldströme, Kooperationen, Abläufe, Fristen, etc.) reformieren wird und nicht die individuelle Teilhabe der Leistungsberechtigten.

Hier bleibt der Mehrkostenvorbehalt und künftig werden zwar Bedarfe personenzentriert ermittelt werden, die Kalkulation der Vergütung aber weiterhin gruppenbezogen bleiben. Und dass das „gemeinschaftliche Wohnen“ etwas werden wird, was wir bis heute noch nie gesehen haben, darf bezweifelt werden. Auch die vertraute Sonderwelt der Werkstätten wird nicht ins Wanken geraten, wenn plötzlich ein paar andere Leistungsanbieter um die Ecke kommen.

Damit es anders wird, muss sich mehr ändern als nur die Sprache. Es ist das Denken, das sich ändern muss. Solange jedoch schon Wünsche "unangemessen" sein können, ist es noch ein weiter Weg. So stellt sich schon die Frage, wie eigentlich die deutsche "Behinderten-Hilfe" heute aussähe, wenn man (Teilhabe-)Wünsche der Menschen mit Behinderungen nicht als "unangemessen" abtun könnte.

Wenn es zutrifftt, dass Veränderungen nur dann eine Chance haben, wenn man so realistisch ist, das Unmögliche zu fordern, dann ist doch klar, dass sich in der deutschen Behindertenhilfe nichts graviernd ändern wird, wenn nur angemessene Wünsche Berücksichtigung finden.

Wenn überhaupt etwas als "unangemessen" zu bezeichnen ist, dann ist dies vielmehr die deutsche Konkretisierung der UN-BRK. Denn hier, im BTHG, ist offensichtlich "unangemessen" wenig Licht der UN-BRK angekommen.

Sprache ist Denken. Geben wir also die Hoffnung nicht auf, dass wenigstens der "Wunsch" nach einer menschenrechtlich sauberen Denk-, Sprech- und Handlungsweise irgendwann doch noch eine Chance hat, die Angemessenheitsprüfung kleiner deutscher Krämerseelen unbeschadet zu überstehen...


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