Kolumnen

Bundesteilhabegesetz: Stärkung der Steuerung schwächt das sozialrechtliche Dreieck


Da meldet er sich plötzlich, dieser Bereich, der der guten Erziehung trotzt, in dem keine Worte zu Hause sind, sondern nur diese urbanen Gefühle, die zu störrisch sind, sich an die Kette gefälliger Worte legen zu lassen. Jenseits der Worte geht der Verstand barfuß und spürt sich in einer Intensität, die ohnehin sprachlos macht.

Ja, es ist immer noch dieses Bundesteilhabegesetz (BTHG), das Gefühle freisetzt, für die schwerlich Worte zu finden sind. Dieses Gesetz, dem die Aufgabe zugefallen ist, zu regeln, wie einer kontinuierlich steigenden Zahl von Anspruchsberechtigten weniger Leistungen bei gleichzeitigem Rechtsanspruch auf vollumfängliche Unbesonderung zu gewähren ist.

Adorno war gestern und begeistert sowieso nur (noch) Phantasten oder Ewiggestrige. Realisten tanzen auch schon mal mit dem Wolf. Vor allem, wenn sie sich vor lauter Machtgeilheit zu einer multiplen Persönlichkeit aufgepumpt haben.

Wes Brot ich ess‘, zu dessen Gesetz ich schweig. Scheißegal, wessen Interessen ich eigentlich zu vertreten habe.

Wer schon zufrieden ist, dass Grausamkeiten zum Teil zurückgenommen wurden, den muss man schütteln, damit er wach wird. Danke, gnädiger Herr Vater, dass Du in Deiner Güte und Weisheit Dich hast milde stimmen lassen und beschlossen hast, mich nur noch 2x in der Woche ohne Essen ins Bett zu schicken!

Weniger schlimm ist noch lange nicht gut genug.

Bei nüchterner Betrachtung ist das Bundesteilhabegesetz tatsächlich nichts anderes als eine Betriebsanleitung zur Steuerung von Zugängen, Prozessen und Abläufen. Ziel des Ganzen: Einsparen öffentlicher Gelder, garniert mit etwas „Ich-liebe-Euch-doch-Alle-Lyrik“, sofern diese keine erheblichen Ausgaben zur Folge hat.

Und nebenbei dürfte interessierten Lesern nicht entgangenen sein, dass den Gesetzesschreibern die Pflegegesetze allemal näher stehen als die UN-BRK.

Durch das BTHG ziehen sich zwei Grundlinien: Optimierung der Steuerung um Kosten zu sparen und, zweitens, (nahezu) kostenneutrale UN-BRK-Lyrik!

Wer zwei große Kisten mit den Aufschriften „Steuerung“ und „UN-BRK-Lyrik“ beklebt und sich dann das BTHG vornimmt, der kann nahezu jeden der Paragrafen einer dieser Kisten zuordnen.

Der Zugang wird gesteuert, Teilhabekonferenz und Gesamtplan dienen der Steuerung, das „Zwangspoolen“ dient der Steuerung, die Bildung von Gruppen von Hilfeempfängern dient der Steuerung, die Orientierung an Preisangeboten, die im Vergleich im unteren Drittel liegen, dient der Steuerung, die Wirkungskontrolle dient der Steuerung und der Gleichrang der Pflege ebenso. Und dass Menschen im Rentenalter, wenn sie erstmals Eingliederungshilfe beantragen, nur Pflegeleistungen gewährt bekommen, dient ja wohl auch der Steuerung, oder gibt es da fachliche Gründe, die mir entgangen sind?

Wer auf seine Unterschrift unter der UN-BRK pfeift und sich des Mehrkostenvorbehalts bedient, macht dies ebenfalls aus Gründen der Steuerung.

Die Frauenbeauftragte in Werkstätten für behinderte Menschen kostet nicht wirklich, diskriminiert nebenbei die Männer, sieht vergleichsweise modern aus und gehört zu dieser eher kostenneutralen „UN-BRK-Lyrik“.

Ja, und dass die „maßgeblichen Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen“ bei den Ausgestaltungen der Landesrahmenverträge mitwirken dürfen, kostet ja nun auch nicht wirklich des Steuerzahlers Kohle, sieht aber ganz nett aus. Und wenn man dann noch einen Verband mit einem Sitz bedenken kann, der wiederholt durch gefälliges Nichtwidersprechen aufgefallen ist, sind gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Das Budget für Arbeit könnte die kleine Schwester des Persönlichen Budgets werden und da ist ja, bezogen auf die absoluten Zahlen, bekanntermaßen alles im grünen Bereich geblieben.

Und auch die Sache mit den „Anderen Anbietern“ liest sich fortschrittlich, spart Kosten und ist nebenbei noch ein kleiner Tritt gegen das Schienbein der Platzhirsche. Einer gesetzeswidrigen Besonderung wird damit nicht der Garaus gemacht. Und mit Steuerung hat es ebenfalls zu tun.

Dass die Begriffe „ambulant“ und „stationär“ verschwinden, gilt auch nur so lange, bis die deutsche Krämerseele wieder etwas zum Prüfen und kontrollieren braucht. Das sieht nicht gerade nach Augenhöhe mit der Behindertenrechtskonvention aus.

Das Hilfebedarfserfassungsinstrument dient der Steuerung und nebenbei verwette ich unser Oma ihr klein‘ Häuschen, wenn in den einzelnen Bundesländern anders als budgetneutral auf ihre Majestät die ICF umgestellt werden sollte. Wer träumt, soll weiterschlafen oder befrage seinen Arzt oder Frau Nahles.

Und dass nun auch Leistungsvereinbarungen schiedsstellenfähig werden sollen, macht doch nur im Kontext von Wirkungskontrolle Sinn. Das nutzt einzig den Leistungsträgern und hat ebenfalls mit Steuerung zu tun.

Wer von Personenzentrierung redet, aber keine Lust, keine Zeit, keine Ideen, keine Ressourcen und keine Leidenschaft hat, auch mehrere zehntausende individuelle Kostensätze zu ermitteln und abzurechnen, dem würde ich antragen, zu überprüfen, ob sein aktuelles Feindbild eigentlich das richtige ist.

Darüber hinaus täte es der Verwaltung gut, wenn sie mit dem Begriff der „Wirkungsmessung“ solange verhaltener umginge, wie sie selber in stoischer Regelmäßigkeit Berichte der eigenen Rechnungshöfe ignoriert. Aber der Splitter im Auge des Gegenübers hat schon immer eine größere Gefahr dargestellt als der Balken im eigenen Auge.

So gesehen wäre es folgerichtig, wenn die nächste Demonstration von Menschen mit Behinderungen vor dem schon seit Jahren kurz vor der Eröffnung stehenden Flughafen stattfinden würde, für den wir inklusive Steuerzahlergemeinschaft täglich(!) gut 1,3 Mio. Euro abdrücken, statt erneut vor dem Reichstag. Schlimmer als Moral ist Doppelmoral.

Wer individuelle Ansprüche pauschaliert, also beispielsweise in den Werkstätten 12 Beschäftigten einen Mitarbeiter zugesteht, egal, ob dies auch den zwölf individuellen Bedarfen entspricht oder nicht, darf sich nicht wundern, wenn diejenigen, die mit weniger als mit einem Betreuungsanteil von 1:12 auskommen, in den Werkstätten (fest-)gehalten werden.

Die sogenannten „fitten Beschäftigten“ sind doch schon deshalb für die Aufrechterhaltung der Abläufe in den Werkstätten wichtig, weil ihr vergleichsweise geringer Hilfebedarf den Mitarbeitern mehr Zeit zur Betreuung der schwerer beeinträchtigten Beschäftigten verschafft.

So viel zur Personenzentriertheitslüge.

Die Behindertenhilfe ist keine Geschäftsidee unternehmerisch denkender Sozialprofis, sondern staatliche Aufgabe. Insofern kommt dem Gesetzgeber tatsächlich eine steuernde Aufgabe zu.

Steuerung primär dazu zu nutzen, Einsparungen zu generieren, wohl wissend, dass die Zahl der anspruchsberechtigten Personen weiterhin steigen wird, ist schon fett. Dabei dann noch den Gutmenschen zu spielen, der „im Licht der UN-BRK“, die übrigens kein maserativerliebter Sozialunternehmer über uns hat kommen lassen, eine solche Umsetzung zu wählen, das ist noch einen Zahn schärfer.

Deutlich wird, dass die „Reform“ der Eingliederungshilfe die Position der Leistungserbringer erheblich schwächt und dass sich dadurch die Koordinaten des sozialrechtlichen Dreiecks verschieben. Hier sind die Auswirkungen noch nicht abzusehen. Die gesetzlich vorgenommene Weichenstellung lässt jedoch nichts Gutes erwarten.

Zunahme von Macht (durch Verstärkung des Steuerungseinflusses) bedeutet in einem geschlossen System, zu dem auch das sozialrechtliche Dreieck zählt, immer auch Machtverlust an anderer Stelle im System.

Das BTHG mag wohl „im Licht der UN-BRK“ geschrieben sein, nicht aber in ihrem Geist. Zweck der Konvention ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. Da reicht es nicht, Steuerungsmöglichkeiten aus- und Sanktionsdruck aufzubauen.

Wer denkt, dass es im Kessel nicht mehr brodelt, verkennt die Realität. Und dass es ruhiger werden wird um das BTHG ist eine Illusion, solange es nicht besser wird.

Da meldet er sich plötzlich, dieser Bereich, der der guten Erziehung trotzt, in dem keine Worte zu Hause sind, sondern nur diese urbanen Gefühle, die zu störrisch sind, sich an die Kette gefälliger Worte legen zu lassen. Jenseits der Worte geht der Verstand barfuß und spürt sich in einer Intensität, die ohnehin sprachlos macht.

Ja, es ist immer noch dieses Bundesteilhabegesetz, das Gefühle freisetzt, für die schwerlich Worte zu finden sind. Dieses Gesetz, dem die Aufgabe zugefallen ist, zu regeln, wie einer kontinuierlich steigenden Zahl von Anspruchsberechtigten weniger Leistungen bei gleichzeitigem Rechtsanspruch auf vollumfängliche Unbesonderung zu gewähren ist.

Adorno war gestern und begeistert sowieso nur (noch) Phantasten oder Ewiggestrige.

Realisten tanzen auch schon mal mit dem Wolf…


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